Die ersten Tage sind die Schwersten

Veröffentlicht am 10. Oktober 2024 um 16:01

Die ersten Stunden und Tage sind zugegebenermaßen ein wenig verschwommen in meiner Erinnerung. Alles was passierte war abgestumpft und dumpf, als sei ich in Watte eingepackt gewesen. Der Autopilot hatte vollkommen übernommen. Jetzt aber mal von Anfang an:

Ich saß im Wartebereich der Klinik, wartete dort auf meine Aufnahme, als wäre es nichts Besonderes. Ich saß da mit einer Neutralität vom Feinsten, kein Witz. Erst beim Abschied meiner Eltern und meines Partners hab ich gecheckt, was da jetzt gerade passiert. Ich würde hier bleiben und sie würden wieder nach Hause fahren... ohne mich, denn ich würde ja hier bleiben. Unter Tränen stand ich dann mit meinem riesengroßen Koffer und meiner Reisetasche im Aufzug. Auf der Station angekommen, wurde ich dann von einem lieben Pfleger in mein Zimmer navigiert. In diesem Zimmer würde ich 11 ganze Wochen verbringen, nur wusste ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Immer wieder kamen mir an diesem Tag die Tränen, so wechselte sich Koffer auspacken und Rotz und Wasser heulen ab, bis ich mich eingerichtet hatte. Um 12 Uhr war ich beim Mittagessen, sah zum ersten Mal einige meiner Mitpatient:innen und stellte zu meiner Beruhigung fest, dass alle auf den ersten Blick sympathisch schienen. Gegen Abend traf ich auf meine Mitbewohnerin, unfassbar lieb, quirlig, sympathisch und witzig. Ganz langsam beruhigte ich mich, aber realisiert, dass dieser Ort eine Art "zu Hause" für mich werden würde, hatte ich noch lange nicht.

Die darauf folgenden Tage lernte ich schnell viele liebe Mitpatient:innen kennen. An dieser Stelle bedanke ich mich noch mal bei meiner damaligen Mitbewohnerin, denn dank ihr traute ich mich schon in den ersten Tagen aus dem Zimmer raus. Sie wurde, zusammen mit anderen Mitpatient:innen, schnell zu einer sehr wichtigen Bezugsperson für mich. Außerhalb der Therapien und Anwendungen wurden wertvolle Gespräche geführt, Spiele-Abende gemacht und Gesprächsrunden bei Sonnenuntergang veranstaltet. Das alles führte also dazu, dass ich mich innerhalb kürzester Zeit ziemlich wohl fühlte. 

Das erste Wochenende nahte, und somit auch der erste Besuch meines Partners und meiner Eltern. Ich wusste, so sehr ich es genießen würde Zeit mit ihnen zu verbringen, genauso schlimm würde dann der Abschied wieder werden. Und genau so kam es dann auch. Es tat weh, das Auto vom Klinikgelände fahren zu sehen. Sie waren noch nicht aus meinem Sichtfeld und schon fühlte ich mich allein und zurückgelassen, aber nicht von ihnen, nein. Ich fühlte mich zurückgelassen von mir selbst. Niemand zwang mich dort in der Klinik zu bleiben. Ich selbst hatte es in der Hand. Zweifel versuchten mir einen Streich zu spielen, und das leider mit Erfolg, denn ich war sehr verunsichert. "Was mach ich hier und bringt das jetzt überhaupt was?" Willkommen in der Spirale der Selbstzweifel. Was im einen Moment eine objektiv betrachtet sinnvolle und kluge Entscheidung ist, kann im nächsten Moment die dümmste Idee in der Geschichte der Menschheit sein. 

An diesem Abend kuschelte ich mich ins Bett und erkannte, dass ich mich dort, trotz des tränenreichen Abschieds zuvor, ungewöhnlich wohl fühlte... 

Woher kommt das? Dieses wohlige Gefühl in einer Klinik? Einem Krankenhaus mit wildfremden Menschen um mich herum, einer "Pipi-sicheren" Matratze und mittelmäßigem Essen? Irgendwann wurde es mir bewusst: Hier erwartet niemand etwas von mir. Hier muss ich nicht mal funktionieren, wenn es gerade nicht geht. Diese "wild fremden" Menschen um mich herum sind so fremd gar nicht, durch den gemeinsamen Nenner, der uns hier zusammen gebracht hat. Und ganz tief in mir drin wusste ich, dass das hier einfach das Richtige für mich ist. Es ist gut für MICH. 

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